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Die Bundeswehr hat einen neuen “Mister PTBS”

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Die Bundeswehr hat einen neuen “Mister PTBS”

Brigadegeneral Klaus von Heimendahl kümmert sich in Zukunft um die Belange von Soldaten, die seelisch oder körperlich verwundet wurden. Er kündigt verbesserte Auswahltests bei der Rekrutierung an.

Von Simone Meyer

Als Christof Munzlinger vor rund zwei Jahren im Verteidigungsministerium anfing, hatte er kein richtiges Dienstzimmer, keinen Computer, kein Team – und es gab immer noch Kameraden, die mit den vier Buchstaben PTBS nichts anfangen konnten. Mittlerweile gibt es in seiner Abteilung sechs Mitarbeiter, er selbst wird “Mister PTBS” genannt, und jeder weiß, das steht für Posttraumatische Belastungsstörung.

Als Beauftragter für Soldaten, die im Auslandseinsatz körperlich oder seelisch verwundet worden sind, hat sich der Brigadegeneral breite Anerkennung verschafft: bei den Streitkräften, in der Leitung des Ministeriums und bei Verteidigungspolitikern aller Parteien. Kein leichtes Erbe für Brigadegeneral Klaus von Heimendahl, der seit heute auf Munzlingers Platz sitzt.

Der 52-jährige Pädagoge ist bisher stellvertretender Kommandeur der 13. Panzerdivision in Leipzig, die im Frühjahr aufgelöst werden soll. Munzlinger sagte, er übergebe die Geschäfte an einen “honorigen und verlässlichen Kameraden”, an einen “echten Panzermann”, der sich durchzusetzen wisse.

Zahlen steigen seit Jahren

Einer Studie der Technischen Universität Dresden zufolge kehren fast drei Prozent der deutschen Soldaten, die im Einsatz sind, mit der Diagnose PTBS zurück. Die Zahlen steigen seit Jahren, mit der Intensität der Auslandsmissionen. 2011 haben sich 922 Soldaten wegen PTBS in einem Bundeswehrkrankenhaus behandeln lassen.

In diesem Jahr waren es 880 bis Ende September. Erfahrungsgemäß sucht sich aber nur jeder zweite Betroffene professionelle Hilfe. Und diejenigen, die sich melden, haben oft mit bürokratischen Hürden zu kämpfen.

“Ich habe gehörigen Respekt vor der neuen Aufgabe”, sagte von Heimendahl, der zunächst mit einer “persönlichen Bestandsaufnahme” beginnen will.

Als eines der größten Probleme habe er jetzt schon ausgemacht, dass die Verfahren, mit denen eine Wehrdienstbeschädigung bei Soldaten überhaupt anerkannt werden, “eher Jahre dauern als Monate”. Als neues Handlungsfeld sei auch die Verbesserung des Screenings identifiziert worden.

Auswahltests bei Rekrutierung geeignet?

Nach jüngsten Ergebnissen aus der Dresdner Studie sind zwei Drittel der Soldaten, die im Einsatz traumatisiert werden, schon vorbelastet, haben also eine PTBS-Vorgeschichte, die weder diagnostiziert noch behandelt wurde. Das wirft die Frage auf, ob die Bundeswehr geeignete Auswahltests anwendet bei der Rekrutierung ihres Personals.

Bisher müssen Soldaten lediglich Fragen beantworten, um vor einem Einsatz ihre psychische Widerstandsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Nach Informationen der “Welt” sollen sie künftig über mehrere Stunden intensiv begutachtet werden, voraussichtlich schon vor der Einstellung in den neuen Karrierecentern; wie genau und von wem, das steht allerdings noch nicht fest.

Bei dem seit Jahren beklagten Mangel an Bundeswehr-Ärzten und -Gutachtern dürfte das jedenfalls nicht leicht werden.

“Genau hinsehen, wen wir schicken”

Streng genommen müssten nach den neuen Erkenntnissen auch alle rund 6000 Soldaten, die zurzeit in Auslandseinsätzen sind, noch einmal kritisch geprüft werden. Doch auch dafür gibt es noch keine konkreten Pläne. Obwohl das Problem an sich seit langem bekannt und angesprochen ist.

Bereits im April 2011 sagte General Munzlinger im Interview mit der “Welt”: “Wir müssen vor dem Einsatz prüfen, wer nicht nur körperlich geeignet, sondern auch psychisch stabil ist.” Der “Druckausgleich” der Seele müsse funktionieren.

“Wir müssen genau hinsehen, wen wir in den Einsatz schicken”, hat sich auch General von Heimendahl vorgenommen. Abhören und Husten-Lassen reiche da nicht aus. “Auch nach Beginn des Einsatzes stellt man vielleicht noch fest, dass jemand überfordert ist.” Das gelte es ebenfalls zu prüfen.

“Diese Herausforderung nehme ich gern an”

Der gebürtige Hamburger hat in seiner bisherigen Militärlaufbahn immer mit Einsatz, -Ausbildung oder -Vorbereitung zu tun gehabt: sei es als Hörsaalleiter an der Kampftruppenschule in Munster, im Europa-Hauptquartier der Nato in Belgien, als Referatsleiter im Führungsstab des Heeres, als Brigadekommandeur in Torgelow oder als Abteilungsleiter Personal im Einsatzführungskommando in Potsdam.

Auf seinem aktuellen Dienstposten, in der Olbricht-Kaserne in Leipzig, durfte er im vorigen Jahr einen Oberstabsgefreiten, der in Afghanistan abgeschossen worden war, zum Berufssoldaten befördern und damit sein finanzielles Auskommen sichern.

Als er gesehen habe, wie dankbar dessen Familie gewesen sei, habe er gemerkt, wie wichtig es sei, sich auch um die Angehörigen geschädigter Soldaten zu kümmern. In seinen ersten Tagen an der Seite des PTBS-Beauftragten habe er nun erlebt, wie langwierig und mühsam die rechtlichen Vorbereitungen sind.

“Diese Herausforderung nehme ich gern an.” Und dass es in seinem Bereich noch einiges zu tun gibt, hat ihm der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey (CDU) schon ins Lastenheft geschrieben.

Den Sorgen von Soldaten ein Gesicht gegeben

“Bei vielen Dingen sind wir noch nicht so weit, wie wir uns das vorstellen”, sagte Kossendey zum neuen PTBS-Beauftragten. Beispielsweise sollten – wie bereits im Heer installiert – auch in den anderen Teilstreitkräften speziell ausgebildete Lotsen eingeplant werden, die einsatzgeschädigte Soldaten “an die Hand nehmen” und ihnen den Weg durch die Bundeswehr-Bürokratie erleichtern können.

Bisher sind in zwei Lehrgängen 46 Lotsen ausgebildet worden, sie nehmen ihre neuen Aufgaben allerdings noch ehrenamtlich wahr. Hauptamtliche Stellen sollen im Zuge der laufenden Reform noch geschaffen werden.

Munzlinger habe es in den vergangenen zwei Jahren geschafft, den Sorgen von belasteten Soldaten ein Gesicht zu geben, sagte Staatssekretär Kossendey zum scheidenden PTBS-Beauftragten. “Sie haben es geschafft, dieses in der Bundeswehr zu Unrecht tabuisierte Thema ins Licht zu rücken.”

Er habe mit viel Herzblut und offenen Berichten den Handlungsbedarf aufgezeigt, den viele im Ministerium bis dahin nicht gesehen hätten, und in der Bundeswehr-Bürokratie viele Enden zusammengeführt. Im Januar wird General Munzlinger auf seinen Wunschposten im Landeskommando Schwerin versetzt.

Auch Klaus von Heimdendahl rückt nun etwas dichter an seinen Wohnort. Zumindest erspart ihm der Job im Ministerium die wöchentliche Pendelei nach Leipzig: Der 52-Jährige wohnt mit seiner Frau und den drei Kindern (14, 12, 5) in Potsdam. Und was es heißt, ständig wegen Papas Beruf die Schule zu wechseln, hat er als Sohn eines Bundeswehr-Generals selbst oft genug erlebt. Auch diese Erfahrung wird ihm auf dem neuen Posten helfen.

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